Chartres

Mittwoch, 25. Mai Heute verlassen wir Paris und begeben uns nach Chartres. Für die Fahrt sind etwa zwei Stunden eingeplant. Zu Beginn zeigt sich Verena noch optimistisch, dass wir nicht so lange brauchen werden. Aber da wir die „das authentische Paris“ Fahrt gebucht haben, macht uns der Pariser Stadtverkehr (= überfüllte Straßen) einen Strich durch die Rechnung (hierzu mehr im „Am Pilgerwegesrand: Pariser Straßenverkehr„).

Und so kommen wir wie geplant in Chartres an, das uns bei strahlendem Sonnenschein begrüßt.

Zeit für ein Gruppenfoto! Doch first things first:

Aber jetzt:

Chartres ist vor allem für seine Kathedrale Notre-Dame des Chartres berühmt. Sie gilt als das Urbild der hochgotischen Kathedrale. Mit den hohen Türmen – die aus unterschiedlichen Bauphasen stammen, wie man unschwer erkennen kann – ist sie schon von Weitem erkennbar.

Die Bezeichnung „Gotik“ ist übrigens eigentlich als Verunglimpfung gedacht. Die italienischen Baumeister konnten mit dieser Art zu bauen nichts anfangen. Für sie war das sehr ungebildet, ja barbarisch. Und wer waren die Barbaren? Genau, die Goten. Daher der Name „Gotik“.

Wir beginnen unsere Erkundung an der Westfassade der Kathedrale. Verena erläutert uns sehr anschaulich die Baugeschichte und Bedeutung der einzelnen Gestaltungselemente.

Die Westfassade wurde während eines Brandes fast völlig zerstört. Übrig blieb nur der untere Teil des Portals, der sich dementsprechend auch deutlich von den weiteren Elementen der Fassade unterscheidet. Die Statuen am Westportal stammen aus der Mitte des 12. Jhrdts. Sie sind die ältesten erhaltenen gotischen Statuen.

Das rechte Portal zeigt die Menschwerdung Christi mit der Muttergottes auf dem Thron im oberen Teil, Jesus im Tempel und unten die Geburt Jesu mit Maria im Wochenbett und Christus in der Krippe. So wie die Krippe hier dargestellt wird, erinnert sie zugleich an einen Opferaltar – in der Darstellung der Geburt wird der Opfertod Jesu vorweggenommen.

In der Mitte sehen wir Christus als den Weltenrichter, umgeben von den Symbolen der vier Evangelisten. Darunter sind die zwölf Apostel zu sehen.

Das linke Portal zeigt die Himmelfahrt Christi. Die Darstellung typischer Arbeiten des Jahres sowie der Tierkreiszeichen an den Seiten stellen als Elemente von Zeit und Raum das göttliche Heil in Verbindung zur Welt.

Am Nordportal, das aus dem 13. Jhrdt. stammt, sind Szenen aus dem Alten Testament und aus dem Leben Mariens – als Bindeglied zwischen Neuem und Alten Testament – dargestellt. Die Lage ist bewusst gewählt: So wie im Norden die Sonne nicht scheint und damit kein Licht hinfällt, so waren nach der damaligen Vorstellung auch die Menschen zur Zeit des Alten Testamentes noch nicht vom Licht und vom Heil erfüllt. Gott sei Dank sind wir hier schon um einiges weiter!

Wir sind fasziniert von der Feinheit und dem Detailreichtum der Arbeit.

Wir betreten die Kathedrale durch das nördliche Portal und werden gleich durch den Raum eingenommen. Hier ist ausnahmsweise einmal der Pandemie zu danken. Wären wir wie geplant im Jahr 2020 nach Chartres gekommen, hätten uns Gerüste im Innern erwartet. Nun strahlt uns eine frisch gereinigte Kathedrale entgegen.

Im Zuge der Renovierungsarbeiten wurde festgestellt, dass die Kathedrale im Innern ursprünglich farbig gestaltet war. Diese Farbgestaltung wird nun wieder aufgegriffen – was nicht allen gefällt.

Verena und Domkapitular Bieber erläutern uns die Buntglasfenster. Sie gelten als eines der vollständigsten und am besten erhaltenen Ensembles des Mittelalters.

Die Fenster am Westportal zeigen (von rechts nach links) den Stammbaum Jesu, das Leben Jesu von der Verkündigung bis zum Einzug nach Jerusalem und die Passion Jesu bis zur Auferstehung und der Begegnung mit den Emmausjüngern. Die Rose stellt das Jüngste Gericht dar.

Der Stammbaum Jesu – die Wurzel Jesse
Szenen aus dem Leben Jesu
Christus als Weltenrichter
Die gerechten Seelen in Abrahams Schoss
Der Erzengel Michael mit der Waage und den Seelen, die beim Gericht nicht bestehen.

Im Chorumgang erwartet uns die nächste Besonderheit: In 40 Szenen mit insgesamt 200 Statuen auf einer Länge von rund 100 Metern und einer Höhe von mehr als sechs Metern wird die Heilsgeschichte von der Ankündigung der Geburt Mariens an Joachim bis zur Himmelfahrt Mariens dargestellt. Insgesamt 200 Jahre wurde an diesem Meisterwerk gearbeitet.

In Chartres wird auch der Schleier der Jungfrau Maria verehrt, den diese bei der Verkündigung getragen haben soll. Hierbei handelt es sich um ein Geschenk des byzantinischen Kaisers an Karl den Großen. Diese Reliquie macht Chartres zu einem besonderen Marienwallfahrtsort.

Um die Kathedrale zwischendrin schnell und effizient zu säubern, ist der Boden leicht abschüssig – so konnte das Wasser, das zur Reinigung verwendet wurde, leicht abfließen.

Ein weiteres Wahrzeichen Chartres ist wegen der Bestuhlung im Hauptschiff leider nicht zu sehen: Das Labyrinth von Chartres. Es stammt aus dem 13. Jhrdt. und ist eines des letzten Labyrinthe in einer Kirche. In einer Abfolge von konzentrischen Windungen und Bögen begibt sich der Besucher des Labyrinths auf einer Gesamtlänge von über 260 Metern von außen in das Zentrum des Labyrinths. Für die Menschen des 13. Jahrhunderts war das Labyrinth ein symbolischer Weg, sich beim Durchschreiten allmählich Christus zu öffnen, bevor er ihm am Altar begegnet. Es war zugleich eine Pilgerreise vor Ort, denn eine Reise in das Heilige Land war zu dieser Zeit nicht möglich.

Da wir das Labyrinth unter den Stühlen nur erahnen können, erläutert Domkapitular Bieber anhand einer Darstellung von Sieger Köder die Bedeutung des Labyrinths für den christlichen Glauben.

Eine besondere liturgische Bedeutung hatte das Labyrinth in der Ostervesper. Zu gregorianischen Gesängen durchschritt der Priester in einem bestimmten Tanzschritt das Labyrinth mit einem gelben Ball, den er – in der Mitte angekommen – den Mitfeiernden zuwarf, welche ihn sofort zurückwarfen, was zu einem lebhaften und festlichen Tanz führte. Was für uns heute undenkbar wäre – Tanz in der Kirche – stellte symbolhaft die Auferstehung Christi dar, der im Tod durch die Hölle (das Labyrinth) gehen muss, bevor er über den Tod triumphiert und sein Licht (der gelbe Ball) allen anbietet, die bereit sind, es zu empfangen und damit einen sicheren Weg zum ewigen Leben zu erhalten.

Heute ist das Labyrinth zur Meditation ab der Fastenzeit bis Allerheiligen jeden Freitag geöffnet (außer Karfreitag)

Wir beschließen unseren Rundgang am Südportal, das das jüngste Gericht darstellt. Mittlerweile sind wir recht geübt, die Darstellungen zu deuten.

Nach dem Besuch dieser beeindruckenden Kathedrale ist es Zeit für die Mittagspause.

Hier werden Galettes („deftige“ Crêpes) getestet.

Im Anschluss daran bleibt noch ein wenig Zeit, um die Altstadt dieser schönen Stadt ein wenig zu erkunden, bevor es zurück nach Paris geht.

Das Gemälde an der Hauswand zeigt Jean Moulin, den Präfekten von Eure-et-Loir (mit Chartres als Hauptstadt), der ein wichtiges Mitglied der Résistance während der Besatzung Frankreichs durch die Deutschen im 2. Weltkrieg war. Unter ihm wurde der Widerstand geeint und gestärkt, Moulin wurde 1943 verhaftet und starb nach schwerer Folter an Herzversagen.

Letzte Absprachen vor der Abfahrt

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